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Ostafrika droht eine Hungersnot: Was der Region helfen kann
Ein Frühwarnsystem schlägt Alarm, Hilfsorganisationen warnen seit Monaten: In Ostafrika droht Mitte 2023 eine große Hungerkatastrophe. Die Situation erinnert an die verheerende Hungersnot mit 250.000 Toten in Somalia von 2011. Was muss jetzt passieren?
Vorhersagen des Frühwarnsystems „Fewsnet“ zufolge droht zwischen April und Juni des Jahres 2023 eine verheerende Hungerkatastrophe in Ostafrika. Schon jetzt müssen laut Welthungerhilfe 21 Millionen Menschen in der Region hungern. Das schwer betroffene Land Somalia litt im vergangenen Jahr unter der schwersten Dürreperiode seit 40 Jahren. Wie die Deutsche Welle berichtet, seien landesweit 213.000 Menschen akut vom Hungertod bedroht. Über 700 Kinder sollen bereits verhungert sein, doch die Dunkelziffer liegt laut UN-Kinderhilfswerk vermutlich deutlich höher, da viele Todesfälle nicht erfasst würden. Neben Somalia sind auch der Südsudan, Kenia, und Teile Äthiopiens von der Nahrungsmittelknappheit betroffen. Expertinnen und Experten sehen deutliche Parallelen zur Hungersnot in Somalia im Jahr 2011. Damals waren über 13 Millionen Menschen betroffen, über 250.000 Menschen starben. Trotz der alarmierenden Situation kommen nötige Hilfsgelder nicht zusammen und längst überfällige Reformen bleiben auf der Strecke.
Die Ursache der sich verschärfenden Lage liegt in einem gefährlichen Zusammenspiel aus verschiedenen Krisen: Einige Länder in Ostafrika kämpfen bereits seit 2020 mit massiven Heuschreckenplagen und extremer Dürre. Dürreperioden wechseln sich mit Starkregen und Überschwemmungen ab. Das sind vor allem Folgen des globalen Klimawandels. Bürgerkriege und islamistischer Terror in Somalia und Äthiopien verschlimmern die Lage weiter. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Wirtschaft ostafrikanischer Länder hat die Armut vor Ort deutlich vergrößert. Darüberhinaus sorgt der Krieg in der Ukraine dafür, dass die Preise für Lebensmittel und Dünger zuletzt stark gestiegen sind. Auch ein Großteil des Getreides, das verschiedene Hilfsorganisationen nutzen, kommt aus der Ukraine. Das Zeitalter der Polykrise zeigt sich in Ostafrika bereits in erschreckendem Ausmaß.
Dürren und Hochwasser: Der Klimawandel macht Ostafrika zu schaffen
Der fortschreitende Klimawandel hat in Ostafrika für eine Zunahme an Dürren gesorgt. Trockener Boden und fehlende Düngemittel sorgen dafür, dass das Land nicht mehr genügend Nährstoffe hat, um ausreichend Landwirtschaft zu betreiben und die eigene Bevölkerung zu ernähren. Außerdem fehlt es in der Region an Pflanzen, die mit den neuen Klimabedingungen fertig werden. Das erschwert die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort und macht die Region abhängig von Lebensmittelimporten. Das Problem: Die Coronavirus-Pandemie und der Ukraine-Krieg haben auch diesen Versorgungsweg stark beeinträchtigt. Im Schatten des Ukraine-Krieges sind Lebensmittel- und Düngerpreise in die Höhe geschossen. Gleichzeitig müssen die Länder Ostafrikas auf dem Weltmarkt mit reicheren Staaten konkurrieren. Durch die Pandemie liegt die Wirtschaft in ostafrikanischen Länder jedoch am Boden. Die coronabedingten Einschnitte in Tourismus, Produktion und Handel haben auf dem gesamten afrikanischen Kontinent für niedrigere Einkommen gesorgt.
Neben einer Zunahme von Dürrezeiten ist die Region aber auch immer wieder von einem anderen Wetterextrem betroffen: Starkes Hochwasser. Nach jahrelangen Dürreperioden kann langanhaltender Starkregen für schwere Überschwemmungen sorgen. Gegenüber der Tagesschau erklärte ein Experte der Deutschen Welthungerhilfe: „Wir erleben hier die Fortsetzung eines Trends der vergangenen zehn Jahre. Auf anhaltende Dürren folgen riesige Wassermassen, die dann von den ausgetrockneten Böden immer weniger aufgenommen werden können.“ Im Jahr 2020 war beispielsweise Äthiopien von der schlimmsten Flut seit Beginn der Aufzeichnungen betroffen. Über 2,5 Millionen Menschen waren den Wassermassen schutzlos ausgeliefert. Über 100 Menschen seien dabei ums Leben gekommen.
Klimakonflikte: Gibt es ein Zusammenhang zwischen bewaffneten Konflikten und dem Klimawandel?
Eine Publikation der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung wies außerdem daraufhin, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und Konflikten in der Region geben könnte. Die Wissenschaftler untersuchten die Konfliktgründe zweier Hirtenvölker im Nordwesten Kenias. In der Region brechen immer wieder Kämpfe um Wasser, Weideflächen und Vieh aus. Alleine 2009 seien dabei über 600 Menschen getötet worden. Bei einer Befragung stellten die Wissenschaftler fest, dass Dürre und Hunger die wichtigsten Konfliktmotive darstellten. Die durch den Klimawandel entstandene Dürre sorgt für Hunger und erschwerte Anbaubedingungen in der Landwirtschaft. Die Folge sind Flucht und Migration, was wiederum ein Motor für Konflikte sein kann. Häufig wird in den Medien ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen Klimawandel und Konflikten hergestellt. In der Forschung ist das allerdings nicht ganz unumstritten. Bei Konflikten und Katastrophen handelt es sich um hochkomplexe und dynamische Prozesse, die nicht in einer binären Kausalrelation erklärt werden können. Nichtsdestotrotz weisen die Autoren der Publikation daraufhin, dass ein Großteil der Literatur auf einen Zusammenhang zwischen Klimawandel, Migration und Konflikten hindeute.
Doch auch islamistischer Terror sorgt in Ostafrika für Schrecken und Fluchtbewegungen. Die Al-Shabaab-Miliz kontrolliert weite Teile Südsudans und hat das Ziel, einen radikalislamischen Gottesstaat am Horn von Afrika zu installieren. Die Miliz entstand nach dem Sturz des ehemaligen somalischen Dikators Siad Barre im Jahr 1991 und den darauffolgenden Zusammenbruch aller politischen Strukturen des Landes. Immer wieder verüben die Milizionäre verheerende Anschläge in Somalia. Der Terror und die politische Instabilität erschweren die Versorgung mit Lebensmitteln beziehungsweise das Aufbauen einer funktionsfähigen Landwirtschaft in dem ostafrikanischen Land. Auch in der äthiopischen Region Tigray sorgte ein Krieg für extreme Nahrungsmittelengpässe. Wie ZeitOnline berichtet, waren fast 40 Prozent der Bevölkerung in Tigray von Nahrungsmittelengpässen bedroht. Die Region war zeitweise völlig von der Außenwelt abgeschnitten, was eine Versorgung mit Nahrungsmitteln unmöglich machte. Ende des vergangenen Jahres sind erstmals wieder Hilfsgüter des Roten Kreuzes in der Region eingetroffen.
2023 droht eine Verschärfung der Lage: Was kann der Region helfen?
Das von den USA finanzierte Frühwarnsystem für Hungerkatastrophen hat für Mitte 2023 Alarm geschlagen. Auf die Region kommt also eine dramatische Hungersnot zu. Dringend benötigte Hilfsgelder sind noch nicht in ausreichender Höhe zusammengekommen. Das liegt auch an einer Gleichzeitigkeit vieler humanitärer Katastrophen. Der Ukraine-Krieg oder Erdbeben in der Türkei und Syrien beanspruchen die öffentliche Aufmerksamkeit für sich. Schleichende Katastrophen wie Hungersnöte fallen meist zu spät unter das mediale Schlaglicht. Prof. Dr. Regina Birner von der Universität Hohenheim in Stuttgart gab gegenüber dem Science Media Center an, dass internationale Hilfsgelder meist erst dann fließen, wenn verstörende Bilder von fast verhungerten Kindern um die Welt gehen. Dann sei es aber bereits zu spät. Die notwendige Hilfe müsse bedeutend früher eintreffen. Darin sieht die Wissenschaftlerin eine deutliche Parallele zu der Hungersnot von 2011 in Somalia. Erst als bereits über 100.000 Somalier gestorben waren, trafen Hilfen in umfangreichen Größenordnungen ein. „Auch Nichtregierungsorganisationen handeln bei solchen großen Katastrophen zu langsam, weil umfangreiche Hilfsgelder nicht oder nur verzögert eintreffen“, so Dr. Sakketa vom Science German Institute of Development and Sustainability (IDOS). Die Spendenbereitschaft weiter Teile der Bevölkerung hängen eben davon ab, wie intensiv über eine Katastrophe berichtet wird. Wer nichts über eine Hungersnot weiß, wird dafür auch keine Spenden geben können. Doch neben der notwendigen finanziellen Unterstützung durch die internationale Staatengemeinschaft müssen auch andere Maßnahmen her. Ansonsten droht nach jeder Dürreperiode eine Hungerkatastrophe.
Neben direkten Lebensmittellieferungen oder Budgethilfen für betroffene Staaten muss die Region langfristig mit den Veränderungen durch den Klimawandel klarkommen. Besonders da ein kollabieren zentraler Kippunkte im Klimasystem der Erde unmittelbar bevorsteht und die Dürreperioden damit eher noch zunehmen werden. Laut Professor Thiele von der Christian-Albrechts-Universitä zu Kiel, müsse Bauern der Zugang zu dürreresistenten Getreidesorten sowie Düngemittel verschafft werden. Hier könne beispielsweise die EU und andere OECD-Länder, die schon jetzt die internationale Agrarforschung für tropische Regionen unterstützen, einen wichtigen zusätzlichen Beitrag leisten. Des Weiteren könnten Entwicklungsprojekte dabei helfen, auch in ländlichen Gebieten mehr Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft zu schaffen. „Solche Maßnahmen wären im Einklang mit dem Versprechen auf der letzten Klimakonferenz COP27 in Ägypten, Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel großzügiger zu finanzieren.“ Weitere wichtige Maßnahmen sind bessere Koordinierung zwischen Geberländern und Hilfsorganisation sowie ein effizientes Verteilungssystem in den betroffenen Ländern. Aufgrund fehlender Infrastruktur sind in der Vergangenheit dringend benötigte Hilfsgüter gar nicht erst in die am stärksten betroffenen Regionen vorgedrungen.
Es muss also beides geben: Kurzfristige finanzielle Hilfe und Unterstützung mit Lebensmitteln durch die internationale Staatengemeinschaft, aber auch langfristige Anpassungen an den Klimawandel in der Region. Bei Letzterem stehen die Hauptverursacher des Klimawandels, der globale Norden, ebenfalls in der Pflicht, Unterstützung zu leisten. Nur die Symptome zu lindern wird bei keinem der zahlreichen Probleme unserer Zeit eine Lösung sein. Damit nicht Jahr für Jahr aufs Neue eine Hungerkatastrophe droht, müssen die Auswirkungen des Klimawandels wirksam bekämpft werden. Zugleich müssen auch bewaffnete Konflikte, wie die Auseinandersetzung in der äthiopischen Region Tigray befriedet werden. Die Bekämpfung des Klimawandels setzt frieden und intakte Gesellschaften voraus. Gleichzeitig erodieren die Auswirkungen des Klimawandels in Ostafrika bereits die Grundlagen für eine friedvolle Gesellschaft. Der tödliche Kreislauf aus Hungersnöten, Konflikten, Flucht und Armut muss unterbrochen werden.