Pixabay/Symbolbild: Das Bundeskanzleramt am Abend.
„Mehr ist in dieser Koalition nicht möglich“
Über 30 Stunden tagt der Koalitionsausschuss der Ampel-Regierung. Das Ergebnis ist klimapolitisch nicht einfach nur zu wenig, sondern ein Schritt in die falsche Richtung.
Eigentlich hat die Ampel-Koalition zu Beginn der Legislaturperiode beschlossen, keine Bilder mehr von nächtlichen Marathon-Gesprächen hinter verschlossenen Türen zu liefern. Doch zuletzt war man sich in der Bundesregierung immer seltener einig. Das Ergebnis des über 30 Stunden dauernden Koalitionsausschusses vom 24. März ist ein „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Infrastruktur.“ Die Strategie der Bundesregierung ist eine Wette auf den Erfolg von Innovation und Technologieoffenheit. Der Einsatz: Ein intaktes Klima und ein zukunftsfähiges Deutschland. Besonders für die Grünen dürften die Kompromisse in der Verkehrspolitik schmerzhaft gewesen sein. Neben dem dringend benötigten Ausbau des Schienensystems sollen nämlich auch bis zu 144 neue Autobahnprojekte vorangetrieben werden. Eine geplante Novelle des Klimaschutzgesetzes sieht überdies eine Abkehr von den Sektorzielen zur Emissionsreduzierung vor. Das entlastet vor allem den Verkehrsminister Volker Wissing (FDP). Sein Haus wird seit Monaten heftig dafür kritisiert, die vereinbarten Klimaziele zu reißen. Damit manövriert Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Minister deutlich aus der Schusslinie. In Punkto Wärmewende bleibt das Papier eher vage.
Immerhin: Die Bundesregierung will große Summen in den Erhalt und Neubau des Schienensystems investieren. Das ist wohl auch bitter nötig, da die Koalition bei der Deutschen Bahn eine Investitionslücke von 45 Milliarden Euro sieht. Finanziert werden die Investitionen mit einer zusätzlichen Abgabe von 200 Euro pro Tonne CO2, die auf die Lkw-Maut aufgeschlagen wird. Planung, Genehmigung und Umsetzung solcher Infrastrukturprojekte sollen künftig schneller voranschreiten. Die Projekte seien künftig im „überragenden öffentlichen Interesse“. Damit besteht im Rahmen der Abwägungsentscheidungen der zuständigen Ämter ein Vorrang gegenüber anderen Belangen. Die konkrete Festschreibung des Straßenbauprojektes muss allerdings im Einvernehmen mit dem betroffenen Land geschehen. Den Grünen verkauft man die Autobahnprojekte damit, dass die Strecken künftig mit Photovoltaik-Anlagen bebaut werden sollen. „Es soll kein Kilometer Autobahn mehr geplant werden, ohne die Möglichkeiten der Erzeugung erneuerbarer Energien auszuschöpfen“, heißt es in dem Ergebnispapier. Außerdem soll in die Schiene substanziell mehr Geld fließen als in die Straße. Dennoch zeigte sich der Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) enttäuscht von den Ergebnissen: „Mehr ist in dieser Koalition nicht möglich“, sagte Habeck in einem über Twitter verbreiteten Video. In der Summe reiche es nicht, die nötigen Lücken im Verkehrssektor zu schließen.
Sein Kabinettskollege Wissing dürfte sich wohl über die Ergebnisse freuen. Die FDP hatte sich schon vor dem Ausschuss dafür stark gemacht, dass auch nach 2035 Verbrenner-Autos, die mit klimaneutralen Kraftstoffen angetrieben werden, in der EU eine Zulassung bekommen sollen. So genannte E-Fuels können mit Strom aus erneuerbaren Energien aus Wasser und CO2 hergestellt werden. Bei der Verbrennung dieser Kraftstoffe entstehen keine klimaschädlichen Gase. Das Problem: Die Herstellung von E-Fuels ist extrem energie- und damit auch kostenintensiv. Der für die Herstellung benötigte Wasserstoff wird wegen der Energiewende in großen Mengen von der Industrie benötigt. Außerdem sind die Kraftstoffe im Vergleich zur Elektromobilität in hohem Maße ineffizient. Die Menge an Strom, die benötigt wird, um mit einem E-Fuel-Fahrzeug 100 Kilometer zu fahren, würde ein Elektroauto 700 Kilometer fahren lassen. Überdies hat auch die deutsche Automobilindustrie kein Interesse an den E-Fuels angemeldet. Mit Ausnahme von Porsche sieht sie die Zukunft in Elektroautos. Porsche setzt dagegen voll auf synthetische Kraftstoffe. So hat der Auto-Hersteller unlängst ein Pilotprojekt in Chile gestartet. Eigentlich hatte man sich in der EU auf das Verbrenner-Aus nach 2035 geeinigt. Doch Wissing hatte die Einigung stellvertretend für Deutschland wieder aufgeschnürt. Die Blockadehaltung hatte Erfolg. Auch nach 2035 wird es eine Ausnahmeregelung für E-Fuels geben. Sich als deutsche Kleinstpartei ein europäisches Vetorecht anzumaßen, dürfte für den Zusammenhalt und das Vertrauen in der EU schädlich sein.
Klimaschutzgesetz: „Die Ampel fällt damit noch hinter das Ambitionsniveau der Vorgängerregierung zurück“
Bisher hatte das Klimaschutzgesetz für die einzelnen Wirtschaftssektoren (z. B. Verkehr, Landwirtschaft oder Industrie) Ziele zur Emissionseinsparung festgeschrieben. Das zuständige Ressort musste dann mit entsprechenden Maßnahmen dafür Sorge tragen, dass die Ziele eingehalten werden. Mit der Novelle werden stattdessen alle Sektoren aggregiert betrachtet. Ministerien können sich in Zukunft einfacher aus der Verantwortung stehlen. „Das, was die Ampelparteien im Koalitionsausschuss beschlossen haben, ist ein Frontal-Angriff auf das Klimaschutzgesetz“, kommentiert der WWF das Papier. Die aktuelle Regierung falle sogar deutlich hinter die große Koalition unter Angela Merkel (CDU) zurück. Der Naturschutzbund stellt dem Ergebnis ein ähnlich schlechtes Zeugnis aus. Er sehe darin eine deutliche Aufweichung und Verschlechterung im Klima- und Naturschutz. „Die Ampel fällt damit noch hinter das Ambitionsniveau der Vorgängerregierung zurück“, so der NABU. Grundsätzlich seien die Vorhaben zur Planungsbeschleunigung richtig, doch dass auch Straßenbauprojekte davon profitieren sollen, gehe in die falsche Richtung. Die Kritik ist bitter für Olaf Scholz, der sich im Wahlkampf noch selbstbewusst als „Klimakanzler“ verkaufen wollte.
Die Ausgestaltung der Wärmewende, im Ergebnispapier zwar als „Schlüsselbereich“ für die Erreichung der klimapolitischen Ziele bezeichnet, bleibt wenig konkret. Im Kern soll es dabei bleiben, dass ab dem 1. Januar 2024 jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden muss. Dabei werde darauf geachtet, dass ein „technologieoffener“ Ansatz verfolgt werde und ausreichend Übergangszeiträume zur Verfügung stünden. Die Bundesregierung will aus dem Klima- und Transformationsfonds finanzielle Förderungen zur Umrüstung bereitstellen. Sozialen Aspekten solle bei der Wärmewende angemessen Rechnung getragen werden. Konkrete Maßnahmen zur Abfederung sozialer Härten werden aber nicht genannt.
SPD und FDP: Gemeinsam gegen die Grünen
Die wenig erkennbare Handschrift der SPD in dem Ergebnispapier liegt daran, dass das politische Ziel der Sozialdemokraten vermutlich kein inhaltliches ist: Die SPD um Olaf Scholz hat die Grünen und Robert Habeck als größten politischen Konkurrenten identifiziert. Wie Zeit Online berichtet, gab es im Vorfeld des Ausschusses ein internes Papier im Kanzleramt, das große Teile der Ergebnisse bereits ausgearbeitet hatte. Das Bundeskanzleramt wollte offenbar selbst die Sektorziele im Klimaschutzgesetz streichen. Frei nach dem Motto: Wenn ein Konzept nicht funktioniert, weil sich eine Koalitionspartei nicht an die Absprachen hält, dann verwirft man es einfach wieder. Das ein Papier mit einer inhaltlich deutlich liberalen Handschrift schon von der SPD als Diskussionsgrundlage genutzt wird, zeigt dass die Zeiten der „natürlichen“ Rot-Grünen Allianz vorbei sind. Es scheint im Willy-Brandt-Haus das Kalkül zu geben, die Grünen unter allen Umständen schwächen zu müssen. Mit Sorge blickt man bereits auf die nächsten Bundestagswahlen. Eine Ampel-Koalition ist mittelfristig die einzig realistische Machtoption für den Kanzler. Für eine zweite Amtszeit braucht es zwei Dinge: Liberale, die für ihre Wählerklientel grüne Projekte verhindern und Grüne, die nicht stark genug sind, um mit Robert Habeck selbst ins Kanzleramt einzuziehen oder mit der Union koalieren zu können. Daher gibt sich die SPD als der uneitele Vermittler zwischen den zwei Streithähnen. Ob das Kalkül aufgeht, bleibt abzuwarten.
Überdies verursacht Scholz auf europäischer Ebene einen erheblichen Flurschaden. Wenn die FDP mit ihren Blockadehaltungen selbst europäische Vereinbarungen wieder aufschnüren kann, sorgt das für Probleme. Ein Staatenbund aus 27 Mitgliedern braucht Vertrauen in die gemeinsam getroffenen Absprachen. Wenn die Splitterpartei eines Landes sich herausnimmt, Vetos auszusprechen und eigene Interessen durchzusetzen, erodiert das Vertrauen in die europäischen Prozesse. „Die gesamte Architektur der Entscheidungsfindung würde auseinanderfallen, wenn wir das alle tun würden“, kommentierte der lettische Ministerpräsident Karins den Vorgang. Auch Luxemburgs Ministerpräsident reagierte genervt auf die Debatte in Deutschland. Es sei ja kein Wunschkonzert, wenn man nach Brüssel komme. Der Kanzler hätte hier einen Riegel vorschieben müssen. In Zukunft wird die Europäische Union angesichts des Klimawandels vor schwierigeren Fragen stehen, als ein Verbrenner-Aus im Jahr 2035. Präzedenzfälle für interessengeleitete Alleingänge sind jetzt fehl am Platz.