Pixabay/Symbolbild: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf einer Wahlveranstaltung.
Die Ampel in der Sackgasse
Bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern haben die Ampelparteien stark verloren. Die AfD fährt dagegen Rekordgewinne ein. Die Umfragen zur Wahl zeigen, dass sich in ihrer Wählerschaft etwas verändert.
Eines ist nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern völlig klar: Es gibt klare Gewinner und Verlierer. Zu den Gewinnern zählt die CDU in Hessen und die AfD in beiden Bundesländern. Der Spitzenkandidat der hessischen Christdemokraten, Boris Rhein, konnte mit einem Ergebnis von 34,6% die Wahl deutlich für sich entscheiden. In Bayern hat die CSU zwar das schlechteste Ergebnis seit 1950 erzielt, doch mit 37% wird die Regierungskoalition mit den Freien Wählern wahrscheinlich fortgeführt.
Der AfD gelingt es in beiden Bundesländern Rekordergebnisse zu erzielen: 14,6% in Bayern und 18,4% in Hessen – das bislang beste Ergebnis in einem westdeutschen Flächenland. Die Zahlen, die Infratest dimap im Auftrag der ARD erhoben hat, zeigen einen deutlichen Rechtsruck. Doch nicht nur in der Zahl der Wähler kann die AfD sich zunehmend behaupten. Auch in der Motivation ihrer Wähler gibt es eine besorgniserregende Verschiebung – dazu später mehr.
Zunächst ein Blick auf den klaren Verlierer des Wahlabends am 8. Oktober. Die Regierungsparteien mussten gleich in beiden Ländern deutliche Verluste hinnehmen. In Bayern verloren sie über alle Parteien hinweg 6,6 und in Hessen sogar 12,2 Prozentpunkte. Die bayrischen Wähler gaben laut Infratest dimap zu 54% an, die Landtagswahl als Denkzettel für die Bundesregierung genutzt zu haben, erdrückende 77% sind mir ihr unzufrieden. Am schlimmsten traf es ausgerechnet die Kanzlerpartei. In Hessen war die Sozialdemokratie mal die stärkste Kraft. Mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser gingen sie sogar mit einem politischen Schwergewicht in den Wahlkampf. Mit Blick auf den eingefahrenen Negativrekord von 15,1% dürfte ihnen das aber mehr geschadet als genutzt haben. Nur 23% der Wählenden hielten sie für die richtige Spitzenkandidatin der SPD, ihre Beliebtheitswerte sind gering. In Bayern lieferten die SPD gleich das schlechteste Ergebnis im Westen ab.
Grünen-Chefin Ricarda Lang sprach gegenüber dem ZDF trotz der Verluste ihrer Partei von „zwei starken Ergebnissen“. In Bayern hatten sie 3,2 und in Hessen 5 Prozentpunkte im Vergleich zur letzten Landtagswahl eingebüßt. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert räumte hingegen die Niederlage in beiden Ländern ein. Schon kurz nach den ersten Hochrechnungen sagte er mit Blick auf die Verluste der Ampelparteien, dass man weder taub noch blind sei. „In diesem Wahlergebnis liegt auch eine Botschaft für uns“, so Kühnert am Sonntag. SPD-Parteichef Lars Klingbeil sah am Wahlabend internen Gesprächsbedarf in der Regierungskoalition. Ob die Ampel es ein weiteres Mal schafft, sich zusammen zu raufen, ist noch offen, war doch die Antwort der FDP auf verlorene Wahlen bisher immer ein „sichtbarerer“ Kurs in der Bundesregierung. Das bedeutete in der Vergangenheit vor allem, dass die Liberalen versuchten, grüne Projekte zu verhindern oder zu entschärfen – nicht selten geduldet und mitgetragen von der SPD. Wie man an den aktuellen Ergebnissen sehen kann, bringt der Weg der Innerregierungsopposition der FDP aber keine Gewinne ein.
Die Ampelregierung in der Zwickmühle
Man fragt sich, in welche Richtung die Regierung noch ausbrechen kann, um ihre Beliebtheit zu steigern. Die Grünen sind eine inhaltlich getriebene Programmpartei. Aktuell müssen sie etwa in der Migrationsfrage einen Weg gehen, der ihrer Basis nicht gefallen dürfte. Selbst wenn für weitere Kursänderungen noch das politische Kapital in der Parteispitze vorhanden ist, unbegrenzt dürfte die Geduld der Partei und ihrer Wählerschaft auch nicht sein. Allein in Hessen gaben 73% der Befragten Grünenwähler an, dass die Partei in der Bundesregierung zu viele Kompromisse eingeht. Währenddessen werden grüne Projekte wie das Heizungsgesetz oder die Kindergrundsicherung deutlich entschärft. Eine expansivere Sozialpolitik, die der SPD zu mehr Beliebtheit verhelfen könnte, ist mit dem Beharren auf der Schuldenbremse von Seiten der FDP und auch des SPD-Kanzlers nicht in Sicht.
Damit befindet sich die Regierungskoalition in einer Zwickmühle: Ihre inhaltlichen Ausrichtungen und Wahlkampfstrategien streben in entgegengesetzte Richtungen. Doch je mehr sie sich voneinander entfernen, desto zerstrittener und dysfunktionaler werden sie wahrgenommen. Das schlägt sich wiederum in schlechten Umfragen und Wahlergebnissen nieder. Die Ampel bräuchte einen gemeinsamen und einen klaren Kurs – idealerweise einen, den die Bevölkerung gutheißt und die Probleme des Landes löst. Bei dem gegenwärtigen Koalitionszustand wäre das allerdings ein politisches Kunststück. Nötig wäre ein starker Bundeskanzler. Olaf Scholz ist in der Regierung allerdings kaum sichtbar und hat selbst ein gravierendes Beliebtheitsproblem. Eine häufig gewählte Strategie gegen Beliebtheitsflauten war in Deutschland oft der Versuch der Regierungschefs, auf dem internationalen Parket zu punkten, wenn es daheim schlecht läuft. Das außenpolitische Image des Kanzlers dürfte sich durch die anhaltenden Debatten über immer neue Waffensysteme für die Ukraine aber kaum bessern. Von vielen wird er trotz der bisherigen Unterstützung als zaudernd und zögernd wahrgenommen – ein Bild, das nicht zuletzt durch mediale Berichterstattung verstärkt worden ist.
AfD erreicht Rekordwerte: Die Republik verändert sich
Die in weiten Teilen als rechtsextrem geltende Partei Alternative für Deutschland (AfD) hat bei den Landtagswahlen Rekordergebnisse erzielen können. Unter ihren immer zahlreicher werdenden Wählern verschiebt sich momentan die Motivationslage – und der Blick auf die Partei selbst. 85% der Wähler in Bayern gaben bei den Befragungen von Infratest dimap an, dass es ihnen egal ist, dass die AfD als in Teilen rechtsextrem gilt, solange sie nur die richtigen Themen anspricht. In Hessen waren es 80%. Gleichzeitig ändert sich der Grund für ihr Kreuz am rechten Rand. Etwa die Hälfte ihrer Wähler in Bayern und 40% in Hessen gaben an, die Partei aus Überzeugung zu wählen, was im Vergleich zu den vergangenen Landtagswahlen ein Plus von knapp 10 Prozentpunkten ausmacht. Gleichzeitig wählt die andere Hälfte die AfD, weil sie darin ihre Enttäuschung von anderen Parteien Ausdruck verleihen kann. Doch diese Zahl ist im Vergleich zur Wahl davor um knapp zehn Prozentpunkte gesunken. Dadurch wird klar: Die bisherige Motivation verschiebt sich von Protestwahl zur Überzeugungswahl. Ein für die Demokratie alarmierender Befund.
Auch die aktuelle Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, dass die Zahl der Menschen mit klar rechtsextremer Orientierung gegenüber den zuvor durchgeführten Studien erheblich steigt. Jede zwölfte Person teilt ein rechtsextremes Weltbild: Befürwortung einer Diktatur nach dem Führerprinzip, nationale Überlegenheit Deutschlands, sozialdarwinistsche Ansichten – all diese Einstellungsmuster finden zunehmenden Anklang in der deutschen Bevölkerung. Auch der Graubereich zwischen Ablehnung und Zustimmung zu solchen Haltungen sei laut den Autoren der Studie deutlich größer geworden. Die politische Selbstverortung der Befragten hat vor allem rechts der Mitte zugenommen.
Die stärker migrationskritische Haltung der Öffentlichkeit findet bei den demokratischen Parteien einen fruchtbaren Boden. Mit Ausnahme der Linken und Teilen der Grünen fordern mittlerweile alle Parteien einen schärferen Kurs in der Asyl- und Flüchtlingspolitik. Damit erhoffen sie sich nicht zuletzt, die öffentliche Meinung auf ihre Seite zu bringen und der AfD Stimmen abzuringen. Doch der Versuch wird nach hinten losegehen: Parteien haben meist ein oder zwei Themen, das sie von den anderen abhebt. Bei den Grünen ist es beispielsweise die Klima- und Umweltpolitik, bei der SPD war es immer die Sozialpolitik und so weiter. Wählerinnen und Wähler, denen besonders eines dieser Themen wichtig ist, wählen häufig die Partei, die es hegemonial besetzt hat. Wenn die übrigen Parteien es versuchen sollten, sich in der Migrationsdebatte der AfD in Härte und Rhetorik anzunähern oder sie zu überbieten, nutzt das vor allem den Rechtspopulisten, da sie seit jeher einen Anti-Flüchtlingskurs fahren. „Lieber das Original wählen“, ist hierfür der häufig verwendete Ausdruck. Unabhängig von den Strategien der übrigen Parteien hat sich bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern eines sehr deutlich gezeigt. Die Republik verändert sich. Der Trend nach rechts schreitet weiter fort.
Die Landtagswahlen in Hessen und Bayern im Detail
Die CSU hat in Bayern mit 37% ihr schlechtestes Ergebnis seit 1950 eingefahren. Die Grünen mussten mit 14,4% deutliche Verluste in Höhe von 3,2 Prozentpunkten hinnehmen. Freie Wähler konnten hingegen ein deutliches Plus von 4,4 Prozentpunkten erreichen und klettern damit auf 15,8%. Die AfD fährt mit einem Ergebnis von 14,6% einen Rekordgewinn ein. Die SPD hat das schlechteste Ergebnis ihrer Partei im Westen. Sie stürzen um 1,3 Prozentpunkte auf 8,4% ab. Die FDP zieht mit 3% nicht in den Landtag ein. Die Wahlbeteiligung lag bei 73,3%, was ein Plus von 1,1 Prozentpunkte zur Vorwahl ausmacht.
In Hessen hat die CDU ein Ergebnis von 34,6% erzielt und ist damit mit Abstand die stärkste Partei. Die AfD zieht als zweitstärkste Partei mit 18,4% in den Landtag ein. Es ist das beste Ergebnis der Partei in einem westdeutschen Flächenland. Sie verbesserten sich damit um 5,3 Prozentpunkte. Die SPD kommt auf 15,1% (-4,7 Prozentpunkte) und die Grünen auf 14,8% (-5 Prozentpunkte). Die FDP kommt laut vorläufigem Wahlergebnis auf 5% und verliert damit im Vergleich zur Vorwahl 2,5 Prozentpunkte. Die Linke verpasst mit 3,1% den Einzug in den Landtag. Freie Wähler scheitern ebenfalls mit 3,5%. Die Wahlbeteiligung lag in Hessen bei 66%. Über beide Länder hinweg verloren die Ampelparteien 18,8 Prozentpunkte. Die Fortsetzung der Schwarz-Grünen Koalition gilt als wahrscheinlich.
Die Zahlen sind von der Forschungsgruppe Wahlen.