Unsplash.com/Symbolbild: Karl-Bröger-Haus in Nürnberg
Schröder bleibt SPD-Mitglied: Die Partei hat damit eine Chance vertan
Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat wegen seiner Russland-Nähe wohl nichts von seiner eigenen Partei zu befürchten. So lautet die Entscheidung der Schiedskommission, nachdem einige SPD-Gliederungen Anträge auf einen Ausschluss gestellt hatten. Die Partei hat damit die Chance zum Startschuss einer innerparteilichen Zeitenwende vertan.
Das Schiedsgericht des Bezirks Hannover hat Anträge auf Parteiausschluss des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder am Donnerstag (2.3.) in einem Beschluss zurückgewiesen. Mehrere SPD-Gliederungen hatten Schröder eine deutliche Nähe zu russischen Gaskonzernen und dem Kreml-Chef Wladimir Putin vorgeworfen. Wenn es nach Hannover geht, hat der Ex-Kanzler deshalb jedoch nichts von seiner eigenen Partei zu befürchten. Schon in erster Instanz konnte Hannover keine Verletzung der Parteiordnung bei dem „Genossen der Bosse“ feststellen. Eine Rüge für sein Verhalten wurde auch nicht ausgesprochen. Die letzte Möglichkeit der SPD-Gliederungen ist die Bundesschiedskommission. Wie der Spiegel berichtet, hat bereits der Ortsverein aus Leutenbach in Baden-Württemberg am Donnerstagabend mitgeteilt, erneut Berufung gegen die Entscheidung einzulegen und letztinstanzlich vor die Bundesschiedskommission zu ziehen. Das aus Berlin ernsthafte Konsequenzen auf Schröder zukommen, ist aber eher unwahrscheinlich.
Es lasse sich „nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen“, dass Schröder gegen Statuten, Grundsätze oder die Parteiordnung verstoßen oder sich einer ehrlosen Handlung schuldig gemacht habe, hieß es in dem Beschluss der Schiedskommission laut der Tagesschau. Die Antragsstellenden SPD-Gliederungen reagierten mit Enttäuschung auf die Entscheidung aus Hannover. Andreas Queissner, der für den Ortsverein Bochum-Schmechtingtal in Hannover war, erklärte hierzu: „Es bleibt aber die Tatsache, dass sich ein sozialdemokratischer Altkanzler nicht deutlich von diesem Krieg distanziert, und Lobbyarbeit geleistet hat für Unternehmen, die mittelbar am Krieg beteiligt sind.“ Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat damit eine wichtige Chance vertan, ihre Vergangenheit in Bezug auf Russland aufzuarbeiten. Dabei geht es auch um Glaubwürdigkeit. Sicher: Viele deutsche Politiker haben Russland unterschätzt. Noch mehr setzten munter auf das Gas der Kreml-Autokratie. Doch bei Schröder ist die Qualität und Dreistigkeit atemberaubend.Ein genauer Blick zeigt außerdem, dass der Altkanzler nicht der einzige SPD-Politiker ist, der gerne Geschäfte mit Kreml-nahen Unternehmen gemacht hat.
Russland-Verbindungen eines Altkanzlers: Schröder und das Gas
Gazprom, Rosneft, Nord Stream: Nach den Jahren im deutschen Kanzleramt sammelte Schröder Posten in russischen Energieunternehmen. 2005 stieg er als Aufsichtsratsvorsitzender in dem bei den Polen und Balten umstrittenen Pipelineprojekt Nord Stream ein. Das Projekt gehört zu 51 Prozent der Gazprom. Der russische Staat hält in dem Unternehmen die Mehrheit der Aufsichtsratssitze. Kurz zuvor hatte Schröder das Projekt aus dem Kanzleramt politisch „im Interesse Deutschlands“ vorangetrieben. Noch in seiner Amtszeit soll die Bundesregierung sich bereit erklärt haben, die Garantie für einen möglichen Kredit über eine Milliarde Euro beim Bau der Ostsee-Pipeine zu übernehmen, so der Deutschlandfunk. Das sorgte bereits damals für Kritik aus allen deutschen Parteien sowie der russischen Opposition. Vermutlich war es die Sorge vor einem Image-Schaden, der den russischen Gasriesen zum Ablehnen des Kredits bewegte.
Für Schröder war die Zusammenarbeit mit Gazprom ähnlich zu anderen deutsch-französischen oder deutsch-amerikanischen Projekten ein völlig normaler Vorgang. Gazprom ist allerdings kein normaler Konzern. Das zeigt auch eine mysteriöse Todesserie in dessen Umfeld, die 2022 bekannt wurde. So berichtete ntv, dass eine Reihe von russischen Oligarchen und Managern im Umfeld von Gazprom tot aufgefunden wurden. Der Geschäftsmann Juri Woronow wurde mit einer Schusswunde im Kopf im Pool seiner Villa in einem St. Petersburger Vorort gefunden. Im April soll der ehemalige Vizechef der Gazprombank sowie ein ehemaliger Manager eines der größten privaten Gasförderers Russlands gestorben sein. In beiden Fällen seien auch Frau und Kinder getötet worden. Andere Ölmagnate sollen bei einem Schamanen vergiftet worden sein, stürzten von einer Klippe oder nahmen sich das Leben. Offiziell sind es also immer Unglücke oder Suizide. Eine direkte Verbindung zu Gazprom konnte nie nachgewiesen werden.
Während der Krim-Annexion im Jahr 2014 und den darauffolgenden politischen Verhandlungen warb der Ex-Kanzler immer wieder für Verständnis für die russische Sichtweise. Während der Liberalisierungswelle des Enerigesektors in Europa übernahm eine Tochterfirma von Gazprom 2015 den größten deutschen Gasspeicher. Das geht aus einem Bericht der Tagesschau hervor. Die Tochterfirma Astora soll ihn aber über Monate hinweg nicht aufgestockt haben. Andere Betreiber hätten laut dem Energiemarkt-Experten Fabian Huneke die Gasspeicher nach dem vorletzten Winter wie üblich wieder aufgefüllt. Das sei „ein eindeutiges Zeichen dafür, dass das bewusst herbeigeführt worden ist“, sagte er gegenüber der Tagesschau. Bereits 2021 sei allem Anschein nach die Entscheidung getroffen worden, nichts nachzufüllen. Also hat die Tochterfirma eines russischen Energiekonzerns bereits vor den Krieg die Gasspeicher in Deutschland leer laufen lassen. Astora dementiert, dass es sich um eine strategische Entscheidung gehandelt habe. Ob Schröder etwas davon wusste, ist unklar. 2017 wurde der Altkanzler dann auf Vorschlag der russischen Regierung zum Chef des Aufsichtsrates des Energiekonzerns Rosneft gewählt. Dort sollte er über den Vorstand und Putin-Getreuen Igor Setschin wachen. Die Zeit zitierte Setschin mit den Worten: „Gerhard Schröder ist Moskau gegenüber der loyalste Bundeskanzler der Geschichte.“ Erst als das Europaparlament 2022 nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine drohte, den deutschen Altkanzler auf eine Sanktionsliste gegen russische Oligarchen zu setzen, gab Schröder seinen Posten bei Rosneft auf.
Eine Frage der Glaubwürdigkeit und Aufrichtigkeit
Auch 18 Jahre nach den Agenda-Reformen verursacht Genosse Schröder seiner eigenen Partei noch Kopfschmerzen. Es braucht schon alleine aus Eigeninteresse eine russlandpolitische Kehrtwende der Partei. Dabei ist es gar nicht nötig, die Ostpolitik der sozialdemokratischen Galionsfigur Willy Brandt als Fehler zu betrachten. Die Situation war damals eine völlig andere. Die Sowjetunion war im Gegensatz zum heutigen Putin-Russland keine revisionistische, sondern eine Status-quo-Macht. Die Versöhnung mit Ostblock-Staaten war bitter nötig. Doch es sind dieselben ehemaligen Ostblock-Staaten, die ein Deutschland gebraucht hätten, dass sich nicht durch billige Gas-Geschäfte blenden lässt. Die Verbindungen zwischen Russland und der „Klimastiftung MV“ in Mecklenburg-Vorpommern, die vom SPD-geführten Land ins Leben gerufen wurde, sind ein deutliches Beispiel für eine opportunistische Wirtschaftspolitik, die Russland gegenüber bestenfalls naiv eingestellt ist. Doch dem vom Landtag eingerichteten Untersuchungsausschuss werden laut Informationen des NDR in weiten Teilen nur geschwärzte Dokumente vorgelegt. Steuerunterlagen, die Licht ins Dunkel bringen sollen, wurden verbrannt. Ministerpräsidentin Schwesig (SPD) will davon nichts gewusst haben. Die Stiftung wurde 2021 gegründet, damit die Pipeline Nord Stream 2 trotz US-Sanktionsdrohungen fertiggestellt wird. Wie der Spiegel berichtet, sei Gazprom direkt an den Vorbereitungen und der Satzung der Stiftung beteiligt gewesen.
Mit solchen Vorgängen schadet man aber nicht nur der eigenen Glaubwürdigkeit, sondern auch der Demokratie. Wer sich persönlich Posten verschafft, sicherheitsrelevante Infrastruktur verscherbelt, auf Teufel komm raus Geschäfte mit Autokraten macht und am Ende niemand verantwortlich ist, entsteht berechtigte Wut. Schröder war nicht der einzige Politiker Deutschlands, der das billige Gas und die Aufsichtsratsposten gerne genommen hat, aber er war mit Sicherheit der Dreisteste. Angela Merkel hat selbst immer wieder betont, dass Nord Stream ein privatwirtschaftliches Projekt gewesen sei. Eine völlig unsinnige Behauptung, damals wie heute. Auch die anderen Parteien, mit Ausnahme vielleicht der Grünen, müssen sich also in Sachen Russland und Gas-Geschäfte einigen Fragen stellen. Die SPD hat mit der Entscheidung der Schiedskommission vom Donnerstag eine klare Antwort gegeben: Man kann als ehemaliger Bundeskanzler Geschäfte mit Gas-Autokratien machen, die andere Länder überfallen, man kann als ehemaliger Bundeskanzler die Freundschaft zum russischen Diktator aufrecht erhalten, während Folter als Waffe im Ukraine-Krieg eingesetzt wird – und man kann als ehemaliger (sozialdemokratischer) Bundeskanzler direkt und nahtlos nach der Amtszeit in Aufsichtsratsposten großer Energieriesen wechseln. Ein „ehrloses“ Verhalten konnte die Schiedskommission nicht feststellen, auch für eine Rüge reichte es nicht.